Hallo, mein Name ist Klaus, 45 Jahre alt und seit 6 Jahren trocken.
Für mich war es ein langer und harter Weg, bis ich zu der Erkenntnis gekommen bin etwas gegen meine Sucht, etwas für mich, zu tun.
So kommt es öfter vor, dass ich mir auch heute noch die Frage stelle, wie weit muss man eigentlich sinken bis man merkt , dass es so nicht weitergeht.
Meine Geschichte ist schnell erzählt und ich glaube , dass es bei vielen ähnlich gelaufen ist.
Getrunken hatte ich, soweit ich mich erinnern kann, schon immer. Den ersten Kontakt mit
Alkohol hatte ich mit 16 Jahren und wie man als Jugendlicher so ist, fand ich es sehr männlich.
Ich muss dazu sagen, dass in meinen Elternhaus wenig Alkohol getrunken wurde und ich unter damaligen ganz normalen Bedingungen aufwuchs. Am Elternhaus kann es also nicht gelegen haben. Ich fand es einfach nur “kuhl“ in Discotheken oder zu anderen Gelegenheiten mein Bier zu trinken. Das ganze lief damals eigentlich noch in ganz normalen Mengen ab, aber irgendwann habe ich angefangen das Zeug zu bunkern und es blieb nicht nur beim Bier.
Als ich 1983 mit meiner Frau und unseren Sohn Sebastian in eine eigene Wohnung zog, war ich eigentlich schon abhängig. Ich konnte zwar noch einigermaßen Trinkpausen einhalten, doch der Gang zur nächsten Verkaufstelle oder zur nahe gelegenen Kneipe bestimmten damals schon meinen Tagesablauf.
Ich frage mich heute noch, wie meine Frau das alles ertragen hat. Wir redeten nicht darüber und wenn sie mal was sagte wurde es verharmlost.
1985 bekam ich ein Arbeitsangebot in Berlin und wir zogen nach Hohenschönhausen in unsere erste Neubauwohnung. Alexander wurde geboren und wir hatten eigentlich alles, was man sich unter damaligen Bedingungen wünschen konnte.
Besonders ich hatte alles, denn der Alkohol bestimmte zusehends mein Leben. Ich fing an heimlich zu trinken um den unbequemen Diskussionen mit meiner Frau aus dem Wege zu gehen.
Dass man Alkohol auch riechen kann, war mir eigentlich egal, denn was man nicht sieht, kann man auch nicht riechen.
Es kam, wie es kommen musste, der erste richtige Streit und es fiel auch zum ersten mal das Wort Scheidung.
Man sollte annehmen, dass jetzt etwas bei mir Klick gemacht hat, aber nichts dergleichen geschah. Ich beteuerte, dass ich mich bessern werde, und die Welt war wieder in Ordnung.
1987 zogen wir in eine größere Wohnung nach Berlin-Mitte. Wir hatten nun wirklich alles, zwei gesunde Kinder, Arbeit, ein Auto, ein gutes Einkommen und eine Kneipe direkt vor dem Haus.
Tja, und hier begann dann auch mein totaler Absturz. Die Kneipe zog mich magisch an und irgendwann war ich dort Stammkunde. Meine Frau war darüber natürlich gar nicht glücklich, aber irgendwann hatte sie es wohl auch satt, immer wegen der gleichen Sache mit mir zu streiten, und sie schwieg.
Ein Schweigen, das ich damals völlig falsch deutete. Ich glaubte, sie hätte sich damit abgefunden und alles ginge so weiter wie bisher. Doch sie hatte damit für sich den ersten Schritt zur Trennung von mir und meinen Trinkgewohnheiten vollzogen.
Nach der Wende ging alles rasend schnell.
Meine Frau wurde arbeitslos, wie viele zu dieser Zeit, und ich konnte zwar meinen Job behalten musste mich aber in meiner Freizeit weiter qualifizieren.
Irgendwann war dieser Mix aus Arbeitslosigkeit, Lernen, finanzieller Einbuße und mein ständiges Verlangen nach mehr Alkohol tödlich für unsere Ehe.
Wobei ich mir heute klar darüber bin, dass der eigentliche Auslöser mein Alkoholproblem war.
Meine Frau begann eine Umschulung als Bürokauffrau und ich machte Kariere als Alkoholiker.
Da ich schon damals nicht mehr in der Lage war ohne Alkohol einen ganzen Tag durchzustehen, ging es natürlich auch im Job abwärts. Hinzu kam, dass ich an manchen Tagen nicht mehr in der Lage war, beruflicher Termine zu erfüllen und blau ( in wahrsten Sinne des Wortes ) machte.
Die Schuld suchte ich immer bei anderen und Trost fand ich in meiner kleinen Kneipe. Wenn jemand zu mir sagte, ich solle vielleicht weniger trinken oder ganz aufhören, sagte ich nur, die richtigen Alkoholiker leben am Bahnhof Zoo und da werde ich nie landen.
Was für ein Irrtum.
Es kam, wie es kommen musste, ich verlor meinen Arbeitsplatz und damit jeglichen Grund, über mein Verhalten nachzudenken. Selbst die Familie, die eigentlich über alles stehen sollte, war mir völlig egal. Für mich zählte nur noch der Alkohol, der mir ein trügerisches Bild einer nicht mehr existierenden heilen Welt vorgaukelte.
Das Resultat waren Schulden und eines Tages eine leere Wohnung. Eigentlich hätte ich jetzt zur Vernunft kommen müssen, aber nix da. Ich fiel in ein Loch aus Selbstmitleid und Selbstaufgabe.
Ich hatte Selbstmordgedanken und versuchte mit Tabletten allem ein Ende zu setzen. Aber auch das klappte nicht. Das einzige, was die Tabletten verursachten, war ein gewaltiges Erbrechen und Magenkrämpfe, die es in sich hatten. Alle anderen Mordgedanken schlug ich mir mit zwei bis drei Flaschen Goldbrand aus dem Kopf.
Irgendwann war ich dann obdachlos. Oder vornehmer ausgedrückt, ohne festen Wohnsitz.
Das Leben auf der “Platte“ ist alles andere als lustig.
Mal abgesehen davon, dass in Berlin ein ausgeprägtes Sozialnetz für Obdachlose existiert, hat die Platte ihre eigenen Gesetze.
Für mich war jeder Tag ein Kampf um die Erhaltung der eigenen Existenz. Schlafen in Notunterkünften, immer mit der Angst, dass das, was man noch hat, am nächsten Morgen nicht mehr da ist, das Anstellen an Wärmestuben, um etwas in den Magen zu bekommen (wenn derselbige überhaupt etwas annimmt) und die ständigen Auseinandersetzungen mit der Polizei oder irgendwelchen Sicherheitsdiensten, für die ein Penner einfach nur ein Penner ohne Rechte ist.
Außerdem war man immer auf der Suche nach etwas Hochprozentigem, um das alles ertragen zu können. Wenn man das Zeug nicht auf legale Weise bekommen konnte, z.B. durch
Schnorren, dann eben illegal. Wichtig war das Ergebnis, denn der Körper brauchte den Stoff.
Lebt man längere Zeit auf der Platte, wird man hart. Geistig und seelisch ist man so abgestumpft, dass man ein so genanntes Schamgefühl nicht mehr kennt und die Grenzen der Geschmacklosigkeit einfach überschreitet.
Man kümmert sich nicht um sein Aussehen oder irgendwelche hygienischen Grundan-forderungen. Man ist sich selbst der Nächste und hält jeden anderen Zeitgenossen für einen erbitterten Gegner.
Irgendwie bleibt bei so einem Leben, das durch Alkohol, Gewalt und andere harte Drogen bestimmt wird, der Geist auf der Strecke und man verblödet oder stirbt in irgend einem Loch.
Irgendwann sagte ich mir, bis hier und nicht weiter. Ich wusste plötzlich ganz genau, dass da noch etwas anderes ist und ich hatte panische Angst auf der Straße zu sterben.
Ich hatte gegenüber den anderen den Vorteil, dass ich noch ein anderes Leben kannte und verhältnismäßig kurze Zeit obdachlos war. Von harten Drogen hielt ich mich noch fern....
Eins weiß ich heute aber auch, hätte ich damals nicht von einem Pfarrer, der als Streetworker arbeitete, Hilfe bekommen und hätte ich diese Hilfe nicht angenommen, könnte ich jetzt nicht am eigenen PC sitzen und dies alles niederschreiben.
Im Januar 98 zog ich dann ins Johanneshaus, eine soziale Übergangseinrichtung für obdachlose alkoholabhängige Männer.
Ich war mir damals immer noch nicht bewusst, dass ich ein Alkoholiker bin. Ich hatte einfach nur die Wahl zwischen einem normalen Obdachlosenheim und einer trockenen Einrichtung. Da ich von vielen Obdachlosen wusste, wie es in einem Obdachlosenheim zugeht und Betroffene lieber auf der Straße leben als in so einem Heim, zog ich, aus nachvollziehbaren Gründen, eine trockene Einrichtung vor.
Hier begann mein zweites Leben, ein Leben ohne Alkohol. Ich traf Menschen, die genau so tief wie ich oder noch tiefer gesunken waren und trotzdem nicht aufgaben, ihr Leben wieder in die richtigen Bahnen zu schieben.
Ich traf hier Sozialarbeiter, die für alle Probleme ein offenes Ohr hatten und die einem 24 Stunden mit Rat und Tat zur Seite standen, und ich fand im Johanneshaus das Vertrauen gegenüber anderen Menschen wieder.
Ein Vertrauen, das ich in der Zeit der Platte schon ganz vergessen hatte. Ich lernte hier, mit dem Begriff “Alkoholabhängigkeit“ richtig umzugehen.
Ich lernte zu verstehen, was es heißt, Alkoholiker zu sein und begriff, wie viel Elend man durch diese Sucht über Menschen, die man doch eigentlich liebt, bringen kann.
Sicherlich gab es auch im Johanneshaus Rückfälle, wie anderswo auch und niemand hat ein
100%iges Rezept, solche Rückfälle zu vermeiden. Aber für mich war das Johanneshaus ein Ruhepol, eine große Glocke, die alles böse von mir fernhielt und ein Ort, wo ich endlich wieder zu mir selbst finden konnte.
12 Monate blieb ich im Johanneshaus und konnte in dieser Zeit fast alle persönlichen und finanziellen Probleme lösen.
Da ich im finanziellen Bereich hohe Schulden hatte, musste ich mich mit der Schuldenberatung in Verbindung setzen.
Ich versuchte auch wieder sozialen Kontakt zum meinem Umfeld herzustellen, indem ich einen Kurs an der Volkshochschule besuchte. Und ich besuchte das erste mal eine Selbsthilfegruppe außerhalb des Johanneshauses.
Gerade diese Selbsthilfegruppe, die ich jetzt seit 5 Jahren besuche, gab und gibt mir immer noch die Kraft, ein abstinentes Leben zu führen.
Sicherlich wird der eine oder andere nun sagen, muss man denn erst so tief sinken, um zu erkennen, dass man Alkoholiker ist?
Sicherlich nicht, dies ist mein eigener Weg, den ich gegangen bin, und all das, was ich erlebt habe, wünsche ich persönlich niemandem.
Wichtig ist, für mich jedenfalls, dass man, egal wie schlecht es einem geht, Möglichkeiten hat, diese Situation zu ändern.
Sich als Alkoholiker zu bekennen und etwas dagegen zu tun, zeigt wahre Größe.
Sich aber hinter irgendwelchen scheinheiligen Ausflüchten zu verstecken und alles laufen zu lassen, zögert das Ende nur hinaus und macht einen Neuanfang nur schwieriger.
Jeder, der Alkohol als Suchtmittel einsetzt, hat seinen persönlichen Tiefpunkt irgendwann mal erreicht.
Wichtig ist, dass man diesen Punkt erkennt und etwas dagegen unternimmt.
Hilfe gibt es überall, man muss nur den ersten Schritt selber machen.
Inzwischen habe ich mein Leben wieder geordnet.
Ich habe eine eigene Wohnung, Arbeit, und bin finanziell von Ämtern unabhängig.
Ein bitterer Nachgeschmack bleibt aber trotzdem: Den Kontakt zu meinen beiden Söhnen habe ich verloren und die Erinnerung an mein Leben auf der Straße wird wohl immer in meinem Gedächtnis verankert bleiben.
Ich weiß, dass ich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann, aber ich kann mein Leben so leben, dass ich, zu welcher Zeit auch immer, meinen Kindern stets aufrecht in die Augen blicken kann.
Fragebogen für Angehörige, Freunde, Kollegen